Macht sich der Versicherte wegen “nicht unverzüglicher Ermöglichung nachträglicher Feststellungen nach zunächst erlaubtem Entfernen vom Unfallort” (§ 142 Abs. 2 StGB) strafbar, stellt sich die Fahrzeugversicherung häufig bei der Regulierung der entstandenen Schäden quer. Argumentationsgrundlage der Versicherungen ist in diesem Fall eine sog. angebliche Obliegenheitsverletzung ihres Versicherten.
Die sog. Obliegenheiten von Versicherten gegenüber ihrer Fahrzeugversicherung richten sich regelmäßig nach den Muster-“AKB 2008” (Allgemeine Bedingungen für Kraftfahrtversicherungen). Diese AKB werden von den Versicherungen – teilweise mit Abweichungen – als allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber den Versicherten verwendet und somit zum Bestandteil der jeweiligen Versicherungsverträge.
Ausgehend von den AKB 2008 finden sich in den Geschäftsbedingungen zur Kaskoversicherung häufig wortgleich folgende Bestimmungen:
Aufklärungspflicht
Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadenereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Weiter ist geregelt :
Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, dass Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.
Wie der Bundesgerichtshof gestern entschied, verletzt der Versicherte nicht automatisch seine Aufklärungsobliegenheit, wenn er sich wegen § 142 Abs. 2 StGB strafbar macht. In dem vom BGH entschiedenen Fall erlitt der Versicherte einen Autounfall, indem er gegen 1 Uhr nachts mit seinem Fahrzeug gegen einen Baum stieß. Baum und Fahrzeug wurden durch den Aufprall beschädigt. Nach der Kollision verständigte der Versicherte den ADAC, welcher das verunfallte Fahrzeug abschleppte sowie einen Bekannten, welcher wiederum ihn vom Unfallort mitnahm. Der Versicherte verständigte jedoch weder die Polizei noch das zuständige Straßenverkehrsamt (Geschädigter). Das hiernach eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen “unerlaubten Entfernen vom Unfallort” wurde in der weiteren Folge eingestellt.
Der Versicherte verlangte nun von seiner Kaskoversicherung die Regulierung des an seinem Fahrzeug entstandenen Schadens. Die Versicherung verweigerte mit der oben benannten Argumentation eine Zahlung, sodass der Versicherte Klage einreichte. Hierbei behauptete der Versicherte, dass er der Versicherung (bzw. deren Agenten) “unverzüglich” i.S.d. § 142 Abs. 2 StGB informierte.
Die vom Versicherten behauptete “unverzügliche” Benachrichtigung der Versicherung hat keinen Einfluss auf die Strafbarkeit nach § 142 StGB, da nach dieser Norm der Geschädigte zu informieren sei. Die Frage für den BGH war jedoch, ob dies auch für das hier anzuwendende Zivilrecht gilt.
Sowohl die erste, als auch die zweite Instanz wiesen die Klage des Versicherten ab und gaben der Versicherung recht. Letztere vertrat die Auffassung, dass die Aufklärungspflicht bei Verwirklichung des § 142 StGB stets verletzt sei. Der BGH hob die Klageabweisung jedoch auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung zurück.
Der BGH stellt in seinem (noch nicht im Volltext vorliegenden) Urteil klar, dass ein Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB nicht automatisch eine Obliegenheitsverletzung des Versicherten darstelle. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten. Dementsprechend hielt der BGH fest, dass
dem Aufklärungsinteresse des Versicherers trotz eines Verstoßes gegen § 142 Abs. 2 StGB dann in ausreichender Weise genügt ist, wenn der Versicherungsnehmer zu dem Zeitpunkt, in dem eine nachträgliche Information des Geschädigten noch “unverzüglich” im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB gewesen wäre und eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift vermieden hätte, zwar nicht den Geschädigten, aber unmittelbar seinen Versicherer oder dessen Agenten informiert hat.
BGH, Urteil vom 21.11.2012 – Az.: IV ZR 97/11